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Das richtige sagen - gar nicht so einfach, oder? - andererseits- der Newsletter #41
Im Sommer lösen wir (fast) alle Probleme - jede Woche andererseits
Problem (fast) gelöst!
Im Sommer lösen wir (fast) alle Probleme - jede Woche andererseits
Wir kennen sie alle: Die Probleme des Alltags, ob klein (wieso zerbröselt der Papierstrohhalm sofort, den ich als Plastikersatz verwenden will) oder groß (warum muss ich jeden Tag Todesängste auf meiner Fahrradfahrt durch Wien durchstehen). Die andererseits-Redakteur:innen nützen die Hitzemonate und widmen sich nach und nach ein paar dieser Probleme - doch nicht ohne auch an eine Lösung zu denken. Was dabei rauskommt, findet ihr jede Woche in unserem Newsletter.
Diese Woche: Das richtige sagen - gar nicht so einfach, oder?
von Emilia Garbsch
Das Problem: Wie sprechen ohne zu beleidigen?
Es gibt Gespräche, die man nicht vergisst. Eines davon hatte ich als Schülerin bei einem viertägigen „Mini-Praktikum“. Ich verbrachte es auf einer sogenannten Sonderschule. Im Prinzip besuchte ich einfach mit den anderen Schüler:innen den Unterricht.
In der Sportstunde rannte ich lachend mit einem Jungen durch den Turnsaal, bis wir uns erschöpft auf den Boden fallen ließen. Plötzlich brach ein Wortschwall aus ihm heraus: „Sonst sind die normalen Kinder nicht so nett zu mir.“ Ich wollte über das Wort „normal“ protestieren, aber er redete schon weiter: „Sie zeigen auf der Straße auf mich und schreien ‚Behinderter‘. Dabei ist das kein schlechtes Wort!“
Er erklärte mir: Das Wort „Einschränkung“ würde er hassen - niemand könne ihn in Schranken weisen. Und bei „Beeinträchtigung“ denke er nur an „Eintracht“. Deshalb wünsche er sich die Bezeichnung „Mensch mit Behinderung“. Seine Eindringlichkeit hat klar gemacht: Wenn jemand ihn anders bezeichnet, ist das nicht nur ärgerlich. Es trifft ihn tief.
Ich glaube, ich habe an diesem Tag das erste Mal über Fremd- und Selbstbezeichnung nachgedacht. Die nächsten Jahre sprach ich konsequent von „Menschen mit Behinderung“. Dann meinte andererseits-Redakteur Nikolai Prodöhl in einer unserer Sitzungen: Das Wort „Behinderung“ möge er nicht so. Es würde zu oft negativ verwendet. Ihm sei „Mensch mit Einschränkung oder Beeinträchtigung“ lieber. Oder einfach nur Mensch. Und die Aktivistin Chiara Seidl erklärt, sie spreche von „behinderten Menschen“, weil die Behinderung Teil ihrer Identität ist.
Die Lösung: Zuhören und nachfragen
Diese (Selbst-)Reflektion über Sprache findet in vielen Communities statt. Sie ist eine logische Konsequenz von Marginalisierung: In meinem queeren Freundeskreis werden gleiche Bezeichnungen von manchen von uns abgelehnt, von anderen verwendet. Wieder andere verwenden keine für sich. Manche merkten irgendwann: sie lehnen bestimmte Wörter nur ab, weil sie Queerfeindlichkeit verinnerlicht hatten. Über unsere Sprache reflektieren wir unsere Identität – und umgekehrt. Beide entwickeln sich weiter.
Trotzdem hatte ich lange Trennlinien von richtigen und falschen Wörtern im Kopf. Ich finde das ist - abgesehen von eindeutigen Beleidigungen - ein Problem: So habe ich Menschen mit Wörtern bezeichnet, mit denen sie sich nicht identifizieren oder die sie verletzen. Die bessere Lösung für sensible Sprache ist eine generell unterschätzte: zuhören und nachfragen. Miteinander sprechen statt übereinander.
Chiara Seidl schreibt dazu auf Instagram: „Lasst uns unsere Identitäten so benennen, wie wir das wollen. Hört uns zu und richtet euch individuell danach.“ Darum bemühe ich mich heute und entdecke immer mehr Fremdzuschreibungen. Ich bezeichne etwa auch nicht mehr Personen als männlich oder weiblich, bevor ich sie diese Selbstbezeichnung selbst aussprechen höre. Das klingt kompliziert, aber es hat meinen Kopf freier gemacht. Weniger Kategorien, mehr Empathie.